Auf die Verwandtschaft von Bolls und Kierkegaards schriftstellerischem Werk haben bisher nur wenige Interpreten aufmerksam gemacht. Ungeachtet der Tatsache, dass Boll sein Dichten erklartermaßen aus religiosen Voraussetzungen versteht, traten Camus u...
Auf die Verwandtschaft von Bolls und Kierkegaards schriftstellerischem Werk haben bisher nur wenige Interpreten aufmerksam gemacht. Ungeachtet der Tatsache, dass Boll sein Dichten erklartermaßen aus religiosen Voraussetzungen versteht, traten Camus und Sartre bei der Erorterung von Gemeinsamkeiten in den Vordergrund. Erst mit dem Roman Ansichten eines Clowns wurde dann die Diskussion auch in Richtung auf Kierkegaards Werk angeregt. Kierkegaard gehort neben Dostojewskij, den Autoren des franzosischen renouveau catholique, Bonhoeffer und Haecker zu den wesentlichen Anregern von Bolls Werk. Wahrend des Krieges las er intensiv die Tagebucher Kierkegaards. Kierkegaard-Lekture und seine ersten schriftstellerischen Versuche fallen zusammen. Bedenkt man, wie engagiert gerade Jugendliche sich oft mit Kierkegaard beschaftigten, so erscheint ein innerer Zusammenhang nicht ausgeschlossen.
Der Dichter, so wie ihn Kierkegaard sieht, lebt mit sich selbst und mit der Umwelt im tragischen Widerspruch. Es kann festgehalten werden, dass nur eine Asthetik, die die ontologische Differenz zwischen Existenzmoglichkeit und Existenzwirklichkeit grundsatzlich fur ihr Menschenbild fruchtbar macht, sich vor dem Denken Kierkegaards rechtfertigen ließe. Von Boll wird diese problematische Differenz zwischen Dichten und Sein reflektiert.
Was Boll und Kierkegaard miteinander verbindet, ist das Interesse an der Existenz des einzelnen Menschen. Wie Kierkegaard appelliert Boll an die Gewissensentscheidung des Einzelnen, die ihm von keiner Autoritat und von keiner objektiven Instanz abgenommen werden kann, ebensowenig wie durch die Umstande seiner Existenz. Sie geschieht in der absoluten Einsamkeit vor Gott. Boll und Kierkegaard wollen aus christlichem Antrieb heraus ihrer Zeit den unendlichen Wert und die Wurde jedes einzelnen Menschen wieder vor Augen fuhren.
Drohte beim fruhen Kierkegaard Phantasie sich als Instrument des Moglichkeitsdenkens zu verselbstandigen und dadurch gerade alle Wirklichkeit von Grund auf in Frage zu stellen, so hilft sie bei Boll wie bei dem nicht mehr im eigentlichen Sinne pseudonymen Kierkegaard positiv dabei, die geschichtliche Wirklichkeit der Existenz im Wirbel des Aktuellen zu gewinnen. Der spate Kierkegaard betont ebenso wie Boll nicht den zentrifugalen Charakter der Phantasie. Phantasie wird vielmehr von beiden nun in den Dienst der Existenzdialektik gestellt, indem sie die Bewegung nach außen in paradoxer Weise erganzen durch eine nach innen, auf die eigene religios begrundete und ethisch gewollte Existenzwirklichkeit gerichtete.
Wie Kierkegaard mochte Boll mit seinem Clown darauf aufmerksam machen, was es heißt, zuerst einmal Mensch zu sein, ehe davon die Rede sein kann, ein Christ zu werden. Dagegen richtet sich der Einspruch beider, dass man so ohne weiteres Christ ist und auf diese Weise die unendlichen Forderungen, die das Christentum an "Charakterentwicklung" (Kierkegaard) und "Menschwerdung" (Boll) stellt, kurzerhand abschafft. In formaler wie inhaltlicher Hinsicht hat Boll in diesem Roman Subjektivitat geltend gemacht gegen die affirmative, existenzlose Objektivitat des gesellschaftlichen Betriebs.