Die klassische Auslegungstheorie von Savigny hielt es für die Aufgabe der Auslegung sich in Gedanken auf den Standpunkt des Gesetzgebers zu versetzen, und dessen Tätigkeit in sich künstlich zu wiederholen. So ist die Auslegung des Gesetzes die Reko...
Die klassische Auslegungstheorie von Savigny hielt es für die Aufgabe der Auslegung sich in Gedanken auf den Standpunkt des Gesetzgebers zu versetzen, und dessen Tätigkeit in sich künstlich zu wiederholen. So ist die Auslegung des Gesetzes die Rekonstruktion des dem Gesetz innewohnenden Gedankens. Freilich ging es Savigny nicht darum, höchstpersönliche Gedanken der am Gesetzgebungsprozeß Beteiligten zu wiederholen, sondern solche Gedanken, die der Gesetzgeber als Vertreter des Volksgeistes denken mußte. Auslegungsziel des Gesetzes ist es, die Gedanken des Gesetzgebers in einer konsensfähigen Gestalt zu gewinnen. In den Dienst seines Auslegungsziels stellte Savigny verschiedene Auslegungskriterien, nämlich grammatische, systematische, historische, logische Anhaltspunkt für den Sinn des Gesetzes.
Die grammatische Auslegung hat zu ermitteln, welcher Sinn nach dem Sprachgebrauch der Sprachgemeinschaft und nach der Sprachregelung der Gesetzgebers den Gesetzesworten zukommen kann. Hier handelt es sich darum, den möglichen Wortsinn, d. h. den Bedeutungsumfang der Gesetzesworte zu erforschen. Dieser wird durch die Sprachkonvention oder durch Definitionen umgrenzt; an der definitorischen Begriffsbestimmung haben aber auch logische Elemente Anteil.
Die systematische Auslegung will den einzelen Rechtsgedanken in den Kontext der gesamten Rechtsordnung stellen, oder in den inneren Zusammenhang, welcher alle Rechtsinstitute und Rechtsregeln zu einer großen Einheit verknüpft. Savigny nahm auf diesen systematischen Kontext Bezug, weil wir den Gedanken des Gesetzgebers nur dann vollständig erkennen, wenn wir uns klar machen, in welchem Verhältnis dieses Gesetz zu dem ganzen Rechtssystem steht, und wie es in dieses System wirksam eingreifen soll. Diese Auslegungsargument bezieht seine Überzeugungskraft daraus, daß mit seiner Hilfe der Wille des Gesetzgebers präziert und zur Geltung gebraucht werden soll. Aus der Vorstellung, daß die Rechtsnormen in einem gedanklichen Zusammengang miteinander stehen, lassen sich weitere Auslegungargumente gewinnen; Es schient geoten, die Einheit des Rechts zu wahren, nämlich die einzelnen Rechtssätze so auszulegen, daß logische Widersprüche vermeiden und Konflikte unterschiedlicher Normzwecke zu einem gerechten und schonenden Ausgleich gebraucht werden.
Rechtssätze stehen nicht nur in einem systematischen, sondern auch in einem historischen Kontext. Auch dieser kann für die Präzierung Gesetzessinnes eine Rolle spielen. Savigny zog den historischen Kontext heran, um sich den Zustand zu vergegenwärtigen, in den das Gesetz eingreifen sollte. Auch dieses Auslegungsargument sollte seine Kraft daraus gewinnen, daß mit seiner Hilfe der Gestaltungswille des Gesetzgebers präziert wurde.
Savigny hoh die logische Element der Audlegung gesondert hervor. Er meinte damit die logische Beziehungen, welche die Teile eines Rechtsgedankens miteinander verbinden. Zu ihnen gehören die syntaktischen Zusammenhänge, in denen die einzelnen Wörter eines Rechtssatzes zueinander stehen, aber auch die logischen Zusammenhänge, durch welche eine Norm mit Legaldefinitionen und anderen ergänzenden Bestimmungen zu jenem Gesamttatbestand verbunden wird, welcher der Fallösung zugrunde liegt. Die Beziehungen, in denen eine Rechtsnorm steht, bezeichnete er hingegen nicht als logisches, sondern als systematisches Element der Auslegung.
Gesetzergänzung und Gesetzesberichtigung haben ihr Instrument in der Lehre von der Lückenausfüllung. Es lassen sich zwei Arten von Gesetzeslücken unterscheiden; die offene Lücke und die verdeckte Lücke. Eine offene Lücke liegt dann vor, wenn das Gesetz für eine bestimmte Fallgruppe keine Regel enthält, die auf sie anwendbar wäre, obgleich es nach seiner eigenen Toleologie eine solche Regel enthalten sollte. Von einer verdeckten Lücke sprechen wir dann, wenn das Gesetz zwar eine auch auf Fälle dieser Art anwendbare Regel enthält, die aber ihrem Sinn und Zweck nach auf diese bestimmte Gruppe von Fälle nicht paßt, weil sie deren für die Wertung relevante Besonderheit außer acht läßt.
Alle weiteren Auslegungsbemühhungen vollziehen sich auf der Grundlage des möglichen Wortsinnes. Sie bewegen sich innerhalb des Bedeutungsspielraums, den der Sprachgebrauch läßt. Wer sich für eine der möglichen Wortbedeutungen entscheidet, muß dies rechtfertigen, d. h. Gründe dafür angeben. Es handelt sich um die Argumente aus dem Gesetzeszweck, die Argumente aus dem Kontext, die Argumente aus der Gerechtigkeit, die Argumente aus den Entscheidungsanalysen.