Fur die asthetische Theorie und die kunstlerische Praxis blieben die Mundhohle und die Zunge in Europa ein Anathema. Insbesondere war die Zunge, ahnlich dem Korperinneren, von Ekel besetzt, deshalb ist sie als die empfindsame, also im Wortsinn aisthet...
Fur die asthetische Theorie und die kunstlerische Praxis blieben die Mundhohle und die Zunge in Europa ein Anathema. Insbesondere war die Zunge, ahnlich dem Korperinneren, von Ekel besetzt, deshalb ist sie als die empfindsame, also im Wortsinn aisthetische Ubergangszone zwischen Außenwelt und Korperinnerem, ein asthetisches Niemandsland. Aber die Zunge ist ahnlich wie die Haut Ort, von dem gleichzeitig außere und innere Wahrnehmungen ausgehen konnen, und primares Werkzeug der Kommunikation mit dem Anderen und der Entstehung bedeutungsvoller Beziehungen. An der Zunge findet ein großer Teil des Kontaktes zur Umwelt und zu anderen Menschen statt. Es ist wichtig, die Zunge ist das einzige Korperteil des Menschen, welches sowohl in als auch außerhalb seines Korpers sein kann, d.h. sie ist sowohl aktives Subjekt wie auch passives Instrument. In der vorliegenden Arbeit wird die Zunge als der hybride Raum unter dem Aspekt der Liminalita, der anatomische und symbolische Verortung der Zunge in einer changierenden Zone zwischen Selbst und Welt, Intimitat und Offentlichkeit, Eros und Tanatos behandelt. Die Zunge ist ein interessantes Thema, das uns Menschen betrifft, beruhrt, das uns verbindet und trennt. Dort wird eine existentielle Dimension von Beruhrung herausgearbeitet und es werden Aspekte wie Nahe und Distanz, Gewalt, Sexualitat thematisiert. Durch das Beruhren des anderen Leibes tritt eine eigentumliche Dialektik der Grenze in Kraft. Die Grenze des eigenen Leibes wird sprurbar, aber gerade so, dass es sich dahinter offnet, dass es weitergeht, dass der eigene Leib gewissermaßen an dieser Stelle durchlassig wird und in den anderen ausfließt. Wir verstehen erst durch die Selbstevidenz des Mundraums und der Zunge, was Innen und Außen, Eigenes und Fremdes, Zartlichkeit und Aggression, Abschließung und Offnung, Grenze und Durchlaß, Bekommliches und Abstoßendes, ja, in einem abgeleiteten Sinn, was Leben und Tod sind.