I. Die Arbeit beschaeftigt sich mit dem Motiv Essen und Trinken in Gottfried Kellers fruehen Prosawerken. Die Identitaet von Sein und Sinn, die im Abendmahl ritualisiert oder dogmatisiert wird, ist in der Perspektive des gruenen Heinrich von fantasier...
I. Die Arbeit beschaeftigt sich mit dem Motiv Essen und Trinken in Gottfried Kellers fruehen Prosawerken. Die Identitaet von Sein und Sinn, die im Abendmahl ritualisiert oder dogmatisiert wird, ist in der Perspektive des gruenen Heinrich von fantasiereicher, poetischer Unplausibilitaet. Heinrich versteht das Abendmahl als Fest der Zeitlichkeit, der Endlichkeit und der Vergaenglichkeit. Brot und Wein werden als Essen und Trinken saekularisiert.
In Die Leute von Seldwyla ist das Motiv Essen und Trinken, Brot und Wein, mit der Frage nach Nahrung, Kueche, Mahlzeit, Hunger eng verknuepft. In diesen "Totalphaenomenen des Essens" spiegeln sich nicht nur Charakter und Schicksal der Personen, sondern auch die Sozialgeschichte und besonders das Auftreten des "Homo Economicus". Damit wird dieses Motiv in Kellers Werken Indikator umfassender Strukturwandlung in mentalitaets- und ideologiegeschichtlicher Praegung.
II. Im allgemeinen dient das Motiv Kannibalismus zur Darstellung der Barbarei, Monstrositaet und des Exzesses, Primitivismus, Ekelhaften. Und das Motiv fungiert als eine Grenze zum Anderen und Fremden. Dieses wird wiederum benutzt, um den Kannibalismusdiskurs als abendlaendische Ausgrenzungsstrategie und imperialistische Herrschaft zu dekonstruieren. Kannibalismus kann als multivalente Chiffre für Begehren verstanden werden. In Penthesilea wird weibliches sexuelles Begehren mit dem Kannibalismus realisiert. Der ‘Liebes-Kannibalismus’ bedeutet die Ueberwindung von Fremdheit durch Einverleibung.
In den Dramen von Tabori und Heiner Mueller wird Kannibalismus nicht als barbarisch im Sinne kultureller Verschiedenheit, sondern als das Barbarische bei uns begriffen. Kannibalimus ist v. a. mit der Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts und besonders dem Holocaust verbunden. Motiv und Metapher des Kannibalismus erhaelt damit die Funktion der Kritik gegen Kultur.
III. In Koeppens Trilogie wird zumeist die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft scharf kritisiert, die von Traegheit, Interessenlosigkeit und Mangel an moralischer Erkenntnis gepraegt war. In dieser Arbeit wird untersucht, wie sich das Motiv Essen und Trinken v. a. im Roman Tauben im Gras mit Bildern, Vorstellungen und dem Begehren verhaelt und welche Einflüsse es auf das Erzaehlen und die Darstellung der Themen uebt.
In Tauben im Gras ist der Zusammenhang von Essen und Erkenntnis sowie Machtsystem besonders auffallend. Die Esskultur ueberhaupt haengt bei Koeppen auch mit kultureller Identitaet und der (Ex)territorialitaet eng zusammen, die sehr haeufig mit alltaeglichen Spuren wie Geruch und Essen im gewoehnten und fremden Ort zum Ausdruck kommen. Der Autor veranlasst durch die kulturelle Semiotisierung bzw. Symbolisierung des Essens seine Leser dazu, mit der Sehnsucht nach Waerme die ruinenhafte Wirklichkeit und die Problematik des Menschendaseins sinnlicher zu erkennen und ueber eine andere Welt bzw. Moeglichkeit zu reflektieren.
IV. In Kafkas Literatur bedeutet das Essen immer eine besondere Lust- und Leidquelle menschlicher Existenz. Aber Kafkas Leben kann mit Sicherheit als asketisch bezeichnet werden. Vor diesem Hintergrund wird Kafkas Erzaehlung Die Verwandlung analysiert, in der das Essen als ein wichtiges narratives Element fungiert. Seitdem Gregor sich in ein Ungeziefer verwandelt, ist ihm das Essen das einziges Medium für die Kommunikation mit der Familie. Also realisiert sich in dem Appetitverlust, der mit der Aufgabe des eigenen Geschmacks beginnt, die latente Preisgabe der eigenen Identitaet.
Kafka zieht Parallele zwischen Essensverweigerung und Absage an das Leben. Die Familie, der Gesamtorganismus, wird von Kafka als eine Gemeinschaft geschildert, die sich durch das Essen konstituiert und aus der nur ausscheiden kann, wer nicht mehr am Essen teilnimmt. Eben das auffallende, die ganze Verwandlung durchziehende Spiel mit Hunger, Appetit, Ekel und Widerlichkeit, ja mit dem Verhungern kennzeichnet die gesamte Struktur der Erzaehlung.